Welche konkreten Massnahmen hat die Infektiologie im Spital ergriffen?
Umfassende und schnelle Kommunikation hatte für uns höchste Priorität. Die Taskforce hat bereits im Februar erste Informationsmails an alle Mitarbeitenden versandt, aber auch an andere Spitäler. Alle paar Tage folgten Updates zum Beispiel mit Informationen zu Schutzmaterial oder zum korrekten Vorgehen bei Isolationen. In kürzester Zeit haben wir zudem SOPs, also standardisierte Vorgehensweisen, angepasst oder Erklärvideos zu Hygienemassnahmen realisiert, die auf unserem Intranet aufgeschaltet wurden. Um die Mitarbeitenden noch direkter abzuholen, haben wir in der ersten Phase Townhalls organisiert, damit wir auf ihre Fragen direkt und persönlich eingehen konnten. Wir haben auch sehr früh damit begonnen, Verdachtsfälle zu testen. Testen ist das A und O. Seit April 2020 testen wir alle eintretenden Patienten und seit Oktober 2020 führen wir in der Alten Anatomie ein öffentliches Testzentrum. Schliesslich war es auch unsere Aufgabe zu prüfen, wie die COVID-Patientinnen und Patienten im ambulanten Setting am besten betreut werden konnten, und wir haben dazu entsprechende Anweisungen erlassen.
Und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Behörden?
Die Interaktion mit den Behörden während einer Pandemie ist essenziell. Mit den Kantonsärzten hatten wir von Anfang an einen regelmässigen und intensiven Austausch. Wir haben sie zum Beispiel bei der Entwicklung von Guidelines und SOPs unterstützt. Im Auftrag des BAG fungieren unsere Infektiologen auch als Grenzärzte, was während dieser Pandemie eine besondere Herausforderung ist. Zweimal hat uns eine Delegation der Zürcher Gesundheitsdirektion besucht. Die Regierungsrätin und ihre Mitarbeitenden konnten sich so ein Bild von der Situation auf den Intensivstationen und den COVID-Stationen machen. Das war sehr wichtig, um den grossen Aufwand einschätzen und würdigen zu können. Die Expertise unserer Mitarbeitenden wurde wahrgenommen und die Behörden können auch heute unser Wissen jederzeit «abholen».
Das USZ hat schon früh damit begonnen, seine Patientinnen und Patienten zu impfen.
Das ist richtig. Wir haben schon früh darauf hingewiesen, dass wir impfen wollen. Als es dann plötzlich so weit war, dass auch wir impfen konnten, haben wir während der Weihnachtsferien innerhalb von zwei Wochen die erste Impfkampagne aufgesetzt. Das war ein ziemlicher Kraftakt. Es war uns aber sehr wichtig, unsere vulnerablen Patientinnen und Patienten im Haus so schnell wie möglich zu impfen. Wir haben in kurzer Zeit sehr viele Menschen geimpft, übrigens auch Personal von anderen Spitälern. Unsere Mitarbeitenden haben einen ausgezeichneten Job gemacht. Wenn wir jeweils Impfdosen zur Verfügung hatten, haben wir innerhalb weniger Stunden Impfwillige aufgeboten. Wir stufen die Prävention durch das Impfen als sehr wichtig ein.
Warum werden ältere oder vulnerable Menschen zuerst geimpft?
Der Bund hat entschieden, die Menschen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, schwer an COVID zu erkranken oder daran zu sterben, zuerst zu impfen. Damit reduzieren wir die Anzahl der schwer erkrankten Patienten und schonen das Gesundheitssystem. Darum hat man die über 75-Jährigen zuerst geimpft und danach Menschen mit schweren Komorbiditäten. Das hat bisher sehr gut funktioniert. Amerika hat es anders gemacht, dort wurden zuerst alle Menschen im Gesundheitssektor geimpft. Aber die Argumentation der EKIF, also der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, war, und das haben wir auch am USZ gesehen, dass wir uns mit korrekten Hygienemassnahmen immer gut schützen können. Die Impfung ist eine zusätzliche Massnahme. Ich denke, dieses Vorgehen war richtig, allerdings hat es auch sehr viele Emotionen ausgelöst. Beim Personal haben wir darum zuerst jene geimpft, die direkt mit COVID-Patienten zu tun haben. Wir haben mit den Mitarbeitenden im Notfall, auf den Intensivstationen und COVID-Stationen begonnen.
Wie war die Infektiologie in die Betreuung der COVID-Patientinnen und -Patienten involviert?
Am USZ wurden 2020 über 1’000 COVID-Patientinnen und -Patienten betreut. Aktuell liegen immer noch Patienten auf der Intensivstation und auf normalen Abteilungen. Die Mitarbeitenden der Infektiologie haben in den letzten Monaten viele davon betreut. Unsere Expertinnen und Experten haben alle diese Patienten isoliert und waren konsiliarisch unterwegs. Auch das Contact-Tracing des Kantons wurde von unseren Mitarbeitenden unterstützt.
Sie und einige Ihrer Mitarbeitenden haben in der Öffentlichkeit eine wichtige Expertenrolle eingenommen.
Tatsächlich sind seit Beginn der Pandemie Einschätzungen und Fachkompetenz unserer Expertinnen und Experten auch in den Medien sehr gefragt. Wir haben unzählige Interviews gegeben und so zur Aufklärung der breiten Öffentlichkeit beigetragen. Verschiedene Exponenten unserer Klinik sind Mitglieder in nationalen und internationalen Gremien, wie etwa Prof. Nicolas Müller, der in der nationalen COVID-Taskforce einsitzt, oder PD Dr. Walter Zingg, der für Swissnoso und für die WHO beratend tätig ist.
Worauf legen Sie derzeit den Fokus?
Das ist zum einen die Nachbetreuung der Long-COVID-Patientinnen und -Patienten. Dabei verfolgen wir einen interdisziplinären Ansatz, in dem die Expertise der Infektiologie eine sehr wichtige Rolle spielt. In der Forschung sind wir in klinischen und experimentellen Studien zu COVID involviert. Trotz der grossen Belastung unserer Mitarbeitenden durch den klinischen Alltag in der Pandemie messen wir dem universitären Aspekt unserer Tätigkeit grosse Bedeutung bei. Bereits heute haben wir zu COVID zahlreiche wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht.
Wenn Sie der Pandemie auch etwas Positives abgewinnen müssten, was wäre das?
Es gibt zwei positive Punkte. Erstens: Die Welt und das USZ haben noch stärker realisiert, wie extrem wichtig Infektiologie ist und damit verbunden Präventionsmassnahmen wie Impfungen oder spitalhygienische Massnahmen. Der zweite Punkt ist die bereits erwähnte Kommunikation. Das haben wir am USZ sehr gut gelöst, weil wir in der Taskforce von Anfang an die Key-Player aus allen wichtigen Bereichen der Organisation am Tisch hatten und immer noch haben.
Wagen Sie an dieser Stelle einen Blick in die Zukunft?
Wir machen uns derzeit grosse Sorgen wegen der Mutationen. Sobald wir über genügend Impfstoff verfügen und mit der wärmeren Jahreszeit, in der sich die Menschen vermehrt im Freien aufhalten, haben wir aber gute Chancen, dass die Zahlen zurückgehen. Dennoch werden wir mit den aktuellen Schutzmassnahmen weiterleben müssen. Das Virus wird unser Leben noch lange mitbestimmen, davon bin ich überzeugt. Früher oder später werden wir eine gewisse Immunität entwickeln. Dann wird das Coronavirus, wie etwa Influenza, Teil unseres Alltags werden.